Denkzeichen
30.06.2014
Embedds1 - Ausgang
So eingebettet, so tief drin in der komplizierten und unerschöpflichen Konsumapparatur. Der Versuch, sich noch Gedanken über das ungreifbare Ganze zu machen scheint sinnlos. Warum noch die Anstrengung unternehmen, sich über das Spielfeld zu erheben, wenn man dadurch immer nur auf eine andere, besser ausgestattete Version desselben Spiels stößt? Egal wohin man schaut, man ist festgeklebt an seinem partikularen Standpunkt. Das weit verbreitete Mantra „Man weiß ja so wenig“ (dessen beunruhigend beruhigende Wirkung Bettina Gaus vor einigen Monaten in der taz beklagt hat) kann vorübergehend die überschüssige Hoffnung besänftigen, die sich gleich darauf wieder damit beschäftigt, zahllose Teillösungen zu portionierten Problemen zu schaffen. Ein schöner Kreislauf, ein angenehmer Drehwurm.
Manch ein Problem jedoch, obwohl durch den Flat Screen in sicherer Distanz aufbewahrt, verwickelt uns in einen Blickwechsel, der für einen flüchtigen Moment einen Gesamteindruck notwendig macht. Die Drohne zum Beispiel. Unbemannter Krieg, eine Irritation, an der man hängen bleibt. Und zwar weniger, weil sich hier unbedingt zu allererst eine moralische Frage stellen würde, sondern vielmehr weil sie faszinierend zwischen Macht und Ohnmacht oszilliert. Weil sie fliegt und trotzdem nicht Freiheit verkörpern kann. Weil der seltsame Umstand, dass die Drohne uns zwar sieht, aber nicht anzuschauen scheint, eine hypnotische Wirkung entfaltet. Die Gleichzeitigkeit von Humanität und Terror, von chirurgischer Präzision und des plötzlichen, erbarmungslosen Einbruchs des Todes in den Alltag.
Taktik – Mimikry
In dieses paradoxe Labyrinth, als das der Drohnenkrieg sich präsentiert, gibt es keinen anderen Eingang, als der Drohne mimetisch zu begegnen, ihren Tanz einzustudieren, indem man ihrem Schatten auf dem Boden nachläuft – in der Hoffnung, irgendwann abzuheben und einen Überblick zu gewinnen, der sie und uns in der Welt verortet.
30.06.2014
Embedds1 - Ausgang
So eingebettet, so tief drin in der komplizierten und unerschöpflichen Konsumapparatur. Der Versuch, sich noch Gedanken über das ungreifbare Ganze zu machen scheint sinnlos. Warum noch die Anstrengung unternehmen, sich über das Spielfeld zu erheben, wenn man dadurch immer nur auf eine andere, besser ausgestattete Version desselben Spiels stößt? Egal wohin man schaut, man ist festgeklebt an seinem partikularen Standpunkt. Das weit verbreitete Mantra „Man weiß ja so wenig“ (dessen beunruhigend beruhigende Wirkung Bettina Gaus vor einigen Monaten in der taz beklagt hat) kann vorübergehend die überschüssige Hoffnung besänftigen, die sich gleich darauf wieder damit beschäftigt, zahllose Teillösungen zu portionierten Problemen zu schaffen. Ein schöner Kreislauf, ein angenehmer Drehwurm.
Manch ein Problem jedoch, obwohl durch den Flat Screen in sicherer Distanz aufbewahrt, verwickelt uns in einen Blickwechsel, der für einen flüchtigen Moment einen Gesamteindruck notwendig macht. Die Drohne zum Beispiel. Unbemannter Krieg, eine Irritation, an der man hängen bleibt. Und zwar weniger, weil sich hier unbedingt zu allererst eine moralische Frage stellen würde, sondern vielmehr weil sie faszinierend zwischen Macht und Ohnmacht oszilliert. Weil sie fliegt und trotzdem nicht Freiheit verkörpern kann. Weil der seltsame Umstand, dass die Drohne uns zwar sieht, aber nicht anzuschauen scheint, eine hypnotische Wirkung entfaltet. Die Gleichzeitigkeit von Humanität und Terror, von chirurgischer Präzision und des plötzlichen, erbarmungslosen Einbruchs des Todes in den Alltag.
Taktik – Mimikry
In dieses paradoxe Labyrinth, als das der Drohnenkrieg sich präsentiert, gibt es keinen anderen Eingang, als der Drohne mimetisch zu begegnen, ihren Tanz einzustudieren, indem man ihrem Schatten auf dem Boden nachläuft – in der Hoffnung, irgendwann abzuheben und einen Überblick zu gewinnen, der sie und uns in der Welt verortet.
Die Taktik fußt auf der Annahme, dass totaler Überwachung nicht mit dem Schutz der Privatheit, sondern nur mit Gegenüberwachung beizukommen ist. Weil die Technik des Über-die-Verhältnisse-Wachens den Apparaten überlassen wurde, werden wir nun bei ihnen in die Lehre gehen müssen – Die Konstellationen, in denen sich die Drohne bewegt, soweit wie möglich abschreiten, um die inneren Programme an den Zerstörungen abzulesen, die sie hinterlässt. Anderenfalls läuft man Gefahr, beim Versuch sie dingfest zu machen, ihre Botschaft zu verfehlen. Die Suche nach einem bösen Kern, der begründen könnte, dass unschuldige Zivilisten ermordet, die Bewohner ganzer Regionen terrorisiert und am anderen Ende der Welt junge Soldaten und Soldatinnen per Bildschirm traumatisiert werden, zielt ins Leere.
Die Drohne entpuppt sich, wenn man ihr nahe kommt, als Schnittpunkt vieler sich unendlich über den Erdball und in der Zeit ausbreitender Strippen. Die
Drohne bleibt leer, beziehungsweise ihr Inneres verweist immer wieder nach außen, auf das System, das Netzwerk, in das sie eingebunden ist. Wenn sie mittels elektromagnetischer Wellen das Relief abtastet, das sie überfliegt, reagiert sie darauf nicht selbstständig, sondern sendet die Daten nach Ramstein oder ein anderes „Distributed Ground System“(DGS). Die Analysten des DGS sind per Chat mit den eigentlichen Drohnenpiloten, die sich wiederum an einem ganz anderen Ort befinden, verbunden. Innerhalb von 24 Stunden interagiert eine einzige Drohne mit ca. 55 Menschen – agieren um die Drohne herum – durch sie hindurch 55 Menschen miteinander – wird sie von 55 Menschen bedient oder dient sie 55 Menschen, rettet oder vernichtet sie 55 Menschen.
Setup
In der Drohne verknoten sich Macht- und Ohnmachtsverhältnisse. Ihre Analyse wird dadurch erschwert, dass sich um den Drohnenkrieg ein seltsam legalistischer Diskurs unter Rechtsexperten entwickelt, in den man leicht abrutschen kann. Man beruhigt sich damit, die Gesetze wären dazu da uns darüber aufzuklären, wen und unter welchen Umständen zu töten, richtig oder falsch ist. Als würden sich die Gesetze und vor allem ihre gängigen Interpretationen nicht den jeweils herrschenden Machtverhältnissen anpassen. Und als würde die Verurteilung des einen oder anderen der 55 Menschen die allgegenwärtige Verstrickung in die Schuldfrage auflösen. Als wäre das Problem der Legitimation des Tötungsapparats mit dem Rechtsapparat zu lösen.
So schnell lässt sich aber die Verwirrung nicht abschütteln, die Drohnenangriffe auf Wasiristan genauso hervorrufen, wie der Einsatz von Drohnen zur Überwachung der Schweizer Grenze oder der Zustellung von Amazonpaketen. Die Drohne weist eben über diese 55 angeschlossenen Menschen und sogar über die schwankende Zahl der Todesopfer, an deren Produktion sie beteiligt ist, hinaus. Sie lässt eine Ungerechtigkeit aufblitzen, die sich wie die Drohne selbst, der Reichweite des bürgerlichen Rechts entzieht. Gleichwohl ist sie dem Rechtsprinzip nachgebildet, weil auch sie Teil des Mechanismus ist, der die Ungerechtigkeit der globalen Ordnung in Einzeltäterbiografien bannt und aus der Karte streicht. Dabei müsste sie von oben doch sehen können, in welchem fatalen Verhältnis die Dinge zueinander stehen.
Player 1
Auch, wenn die Technologien, die im Krieg eingesetzt werden (ähnlich denen, die in der Finanzwelt ihr Unwesen treiben), eine scheinbar neue gespenstische Dimension erreicht haben, behält die Analyse, die Walter Benjamin vor fast achtzig Jahren im Nachwort zum Kunstwerkaufsatz gegeben hat, ihre Gültigkeit: „Der Krieg, und nur der Krieg, macht es möglich, Massenbewegungen größten Maßstabs unter Wahrung der überkommenen Eigentumsverhältnisse ein Ziel zu geben. So formuliert sich der Tatbestand von der Politik her. Von der Technik her formuliert er sich folgendermaßen: Nur der Krieg macht es möglich, die sämtlichen technischen Mittel der Gegenwart unter Wahrung der Eigentumsverhältnisse zu mobilisieren.“3
Der Krieg ist es also, der sowohl die Menschen als auch die Maschinen von der dringenden Aufgabe und der offensichtlichen Möglichkeit ablenkt, sich gemeinsam zu einer gerechteren Welt zu formieren. Der Einzelne arbeitet an dieser Ablenkung fleißig mit. Sie verhindert, dass man sich mit der eigenen Ohnmacht konfrontieren muss, indem man sich mit der vermeintlichen Übermacht der Kriegsherren identifiziert. Man glaubt, nur weil man die Unterwerfungsapparaturen sachgerecht bedienen darf, sie auch zu steuern. Der Mythos von der Besonderheit des Krieges verliert seine Glaubwürdigkeit, wo dessen Aufgabe, eine ganz konkrete Macht als Verfügungsmacht über Produktionsmittel zu erhalten, offensichtlich wird. Der Krieg zieht seine Bahnen auch durch den Alltag, er durchwirkt den Securitydienst im Supermarkt, die Softwarelizenzen und Hardwarepatente, die Jobs ohne Arbeitsverträge, Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung. Wenn man dem unfassbar verschlüsselten und zerhackten Weg folgt, den der Tötungsimpuls im Drohnenkrieg zurücklegen muss, bevor er befriedigt wird, bekommt das Bild einer archaische Triebkraft der ewig blutrünstigen Menschheit weitere
Risse. Im einen reicheren Erdteil befinden sich Computerspezialisten, die mit viel Fingerspitzengefühl Mikrobefehle per Joystick ausführen und deren Konsequenzen am Bildschirm als Bewegungen abstrahierter Punkte verfolgen, während am anderen ärmeren Ende der Welt eine Rakete vom Himmel fällt und einen Menschen vernichtet, der sich selbst bis zu diesem Moment nicht als Kriegsteilnehmer verstanden hat. Innerhalb des Konzepts der „signature strikes“ überwacht eine Drohne die Einwohner einer bestimmten Region. Wird in deren Verhalten Übereinstimmung mit terroristischen Verhaltensmustern festgestellt, erfolgt der Beschuss. Weder Opfer noch Täter beherrschen die Algorithmen, die sie als das eine oder andere qualifizieren. Hier ist neu variiert, was Hannah Arendt im Begriff der „Banalität des Bösen“ auf den Punkt zu bringen versucht: Die Verkettung scheinbar trivialer Handgriffe und Rechenoperation resultiert in Unmenschlichkeit – Vernichtung.
Player 2
Mit den Augen der Drohne sehen, heißt den Krieg als Teil einer Maschine verstehen, die aus einer Reihe mechanisch und reflexartig ausgeführter Bewegungen besteht. Darin gleicht er sich dem Alltag an. Wie jedes
Kriegsgerät exportiert die Drohne alltäglich gewordenen Terror oder den Terror des Alltags an entlegene Flecken der verwalteten Welt. In den Inneren Schaltzentralen scheint das ideologische Gedankengebäude der Kriegsschwärmerei überflüssig zu werden, weil man sich dort an das Gesetz der Maschine übergibt, 0 oder 1, Ziel identifiziert oder nicht, Ziel getroffen oder nicht. Die Cleverness im Punktesammeln, die als Konsument im Alltagsleben erlernt wird, findet hier nur ein weiteres Anwendungsfeld. Das Töten muss nicht mehr gerechtfertigt werden, weil es fast wie ein zufälliges Resultat am Ende einer komplexen Rechenoperation steht. Am Ende seiner Dienstzeit erhält Bryant ein score sheet, das seiner Einheit die Beteiligung an 1626 Tötungen bescheinigt.
Rigged Game
Als Drohne getarnt, mit dem Hintergrund verschwommen und mit neuartigen Sensoren ausgestattet, erhalten wir vom Schlachtfeld und dem Platz, den der einzelne darin besetzt, ein neues klareres Bild: Der Übergang vom Menschen zur Drohne ist fließend. Sie bilden zwei Elemente der einen Apparatur, die die Datenströme, die uns durchfließen, in regelmäßigen Abschnitten zu Signalen umwandelt und an das folgende Glied in der Kette weitergibt. Der ganze Komplex gleicht einem Glücksspiel, bei dem die einen mit ihrem Verschwinden in der Maschine bezahlen und die anderen mit dem Leben, bei dem aber vor allem am Ende immer der Automat des Kapitals gewinnt. „Unbemannt“ beschreibt nicht nur die Flugmaschine, sondern auch die in den Prozess ihrer Entwicklung, Steuerung und Wirkung verwickelten Menschen. Sie bildet unendliche Variationen, Wiederholung und Einübung von dem, was Adorno „Mimesis ans Tote“ nennt: Der Versuch der Ohnmacht gegenüber der alles umfassenden Maschinerie zu entgehen, indem man sich ihr angleicht, seine Menschlichkeit abstreift und so vermeintlich an ihrer Macht teil hat. Der bedrohliche fremde Mensch wird durch die Klassifizierung nach Verhaltensmustern rationalisiert und gebändigt, um den Preis, das man sich selbst in den Rationalisierungsapparat einbettet.
Alles verspielt!
Es geschieht etwas zusätzlich Bedenkenswertes im seltsam routinierten Bedienen des Joysticks: Die total verwaltete und die total verspielte Gesellschaft gehen ineinander über. Interessanterweise passt sich die Strategie der Rekrutierung neuer Soldaten der Tendenz zunehmender Verspieltheit der Kriegsführung an. Spiel insofern, als dass man sich an Regeln übergibt, deren Befolgung Genuss verschafft, weil es einem erlaubt zu verschwinden. Der „Joystick“ benennt das Versprechen des Knüppels der Disziplinierung am Ende doch noch Genuss bereitzuhalten. Spieler, die durch Computerspiele, die teilweise von den Rüstungskonzernen selbst hergestellt werden, schon als Kinder auf ihr späteres Soldatendasein vorbereitet wurden, bilden den Pool, aus dem Drohnenpiloten rekrutiert werden sollen. Aus beiden Richtungen scheinen sich Unterhaltungsindustrie und Kriegsindustrie einander anzunähern, um schließlich den nahtlosen Übergang von einem Bildschirm zum anderen zu ermöglichen. Die Einübung genormter reflexartiger Reaktionen taktet den Menschen bruchlos ein, in gleich zwei wichtige Komponenten der großen alles umschließenden und durchrationalisierenden kapitalistischen Maschinerie. Harun Farocki erzählt von diesem seltsamen Ineinanderfließen virtueller und realer Welten in seinen Videoinstallationen „Ernste Spiele“. „Serious Games“5 simulieren Kriegsschauplätze, um den Einsatz entweder im Sinne einer militärischen Ausbildung vor- oder im Sinne einer psychotherapeutischen Behandlung des traumatisierten Soldaten nachzubereiten. Irgendwie erreicht man grade durch die Ausbeutung des menschlichen Bedürfnisses nach Steuerung und Selbstermächtigung, die umso lückenlosere Steuerbarkeit des Menschen.
Schuldeneintreiber
Was können wir aus dieser angebrochenen Flugstunde lernen? Die Drohne ist nichts weiter als unser Spiegelbild. Das, was wir für den Himmel gehalten haben, ist nur die buntgestrichene Decke einer riesigen Fabrikhalle, aus der Fabrikhalle kommt man nicht raus, solange man nur stumpfsinnig seinen Teil am falschen Produktionsprozess mittut und für Bedürfnisbefriedigung hält, was innerhalb der Fabrik eigentlich nur die endlose Verlängerung einer sinnlosen Arbeit ist. Die Ohnmacht reproduziert sich unendlich, grade in den Akten, in denen man meint, ihr entgehen zu können. Chirurgische Präzision und unersättliche Kartografie müssen sich so lange auf sie richten, bis sie ihre Macht verliert.
Die einzig sinnvolle Arbeit – die gegenwärtigen Verhältnisse zu überwachen, in sie einzudringen, sie aufzuklären und anzugreifen – hat nur Hoffnung, wo sie den Weg über die Widersprüchlichkeiten des falschen Apparats geht, jedes Stolpern protokolliert und in der Karte verzeichnet, auf der sich später vielleicht mal ein Ausweg abzeichnen könnte. Der Befehl, den Ernst Bloch von Marx, dem ersten Protokollanten der Maschine-gewordenen Gesellschaft übernimmt und an uns weiterreicht, lautet: „Das vorhandene Elend wird nicht bejammert und dabei belassen, sondern es erscheint, wenn es sich seiner und seiner Ursachen bewusst wird, als revolutionäre Macht, sich ursächlich aufzuheben.“
Bildquellen:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-90048993.html http://www.youtube.com/watch?v=XngMr4uHAj0 und http://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/hamburger- bahnhof/ausstellungen/ausstellung-detail/harun-farocki-ernste-spiele.html